So beginnt Charles De Coster 1867 seine meisterhafte Legende vom Tijl Uilenspiegel. Unter seiner Feder wird Uilenspiegel zum Symbol der flämischen Volksseele. Zusammen mit Nele und Lamme Goedzak streift der unbeugsame Geus und Schelm durch die flämischen Felder und Wiesen.
Überraschenderweise ist der ursprüngliche Uilenspiegel eine ganz andere Figur. Der plattdeutsche Dil Ulenspiegel entstand im Kopf des Stadtschreibers Hermann Bote um 1500. Dil Ulenspiegel ist ein brutaler Schurke, der sich systematisch über die Regeln des aufstrebenden Bürgertums hinwegsetzt und die Welt auf den Kopf stellt. Der sozialkonservative Bote will mit dieser Figur einen mahnenden Spiegel vorhalten: Verhaltet euch nicht wie Ulenspiegel!
Das Werk von Bote wird in Straßburg gedruckt. Über Antwerpen und die niederländische Bearbeitung wird es in ganz Europa verbreitet. Der Prosadruck hat großen Erfolg: Das Werk wird fast ständig nachgedruckt. Die scharfen Kanten des teuflischen Schreihalses werden zu intriganten Streichen eines schelmischen Witzbolds geglättet.
Mit De Costers Roman La Légende d'Ulenspiegel, 1867, erlebt die Figur eine neue Jugend. Die uralte Tradition erfährt einen Erdrutsch. Tijl wird zum Gegner des fanatischen spanischen Königs Philipp II. und gerät an die vorderste Front der niederländischen Revolte.
Ob von De Coster inspiriert oder nicht, wird er fortan vor die unterschiedlichsten Karren gespannt: Er wird zum kritischen Individualisten und kämpfenden Proletarier, zum Vertreter des Herrenvolks und zum Widerstandshelden im Zweiten Weltkrieg. Er wird zur Hauptfigur von Kinder- und Jugendgeschichten, zum Abschiedsredner von Comics, zum Helden von Filmen, Theaterstücken, Musicals, Oratorien und Liedern.
Jedes Mal, wenn er auftaucht, passiert etwas: Er rüttelt auf, stellt die Welt auf den Kopf, zeigt uns in seinem Spiegel unsere wahren Taten.